Szene 30. Im Schatten der Entscheidung – das Bündnis der Vertrauten
Die Sonne versank langsam am Horizont, während Elli durch die engen Straßen Berlins schlenderte. Ihr Herz pochte unruhig in ihrer Brust, als sie dem imposanten Bau von Adisas Wohnung näher kam.
Das „Rabbit Hole“ und ihre gewohnte Umgebung in
Köln hatte sie wieder einmal hinter sich gelassen, und nun betrat sie eine Welt, die gleichzeitig vertraut und fremd wirkte.
Die Wohnungstür öffnete sich, und Adisas herzliches Lächeln begrüßte Elli. „Komm rein! Es ist schön, dich zu sehen.“ Adisas Augen funkelten freundlich und neugierig, und Elli fühlte sich willkommen.
Im Wohnzimmer breitete sich eine warme, einladende Atmosphäre aus. Adisa trug ein traditionelles indisches Gewand, das ihre zierliche Statur betonte und in lebhaften Farben strahlte. Ihr Nasenpiercing
glitzerte im Licht der Abendsonne, und als sie sich niederließ, warf sie Elli einen fragenden Blick zu.
Elli setzte sich etwas steif auf ein kostbar aussehendes Sitzkissen und atmete tief durch, suchte nach den richtigen Worten. „Adisa, ich brauche deine Hilfe.“ Ihre Stimme zitterte, doch in ihren grünen Augen loderte ein Feuer, das nicht zu übersehen war.
Adisa neigte den Kopf leicht zur Seite, ihre großen, dunkelbraunen Augen suchten in Ellis Gesicht nach Antworten. „Was ist los, Elli? Du siehst aus, als hättest du die Welt auf deinen Schultern.“
„Ich … du kennst doch die Aktivisten von der antipsychiatrischen Patientenbewegung. Lio ist auch mit dabei. Wir haben etwas herausgefunden. Über den Pharma-Riesen MedüX Pharma.“ Elli schluckte, ihre Finger spielten nervös mit einer Verzierung an ihrer Öko-Baumwoll-Bluse. „Dieser Konzern ist in Dinge verwickelt, die … die einfach nicht richtig sind. Und wir können das nicht ignorieren.“
Elli erzählte Adisa von den bestätigten Indizien, die auf den Pharmaskandal hinwiesen, und von den Drohbotschaften und Attacken auf die Aktivisten. Sie berichtete auch von Majas Schicksal und wie sehr sie sich über ihren Zustand sorgten.
Adisas Augen weiteten sich, und für einen Moment herrschte Stille. „Das ist eine extrem dunkle Geschichte, und da geht es um sehr viel. Warum bist du hier, Elli? Kann ich euch helfen?“
„Es ist kompliziert. Und gefährlich.“ Elli senkte den Blick, als die Bilder des Chats mit ChatGPT vor ihrem inneren Auge erscheinen. „Ich … ich denke, ich benötige ein Team, um uns stichhaltige Belege aus der Datenbank des Konzerns zu beschaffen. Es muss ein Team aus Menschen mit entsprechenden IT- Kenntnissen sein, denen wir vollkommen vertrauen können.“
Adisa schluckte, ihre Finger spielten nun auch nervös an den Fransen eines Tischläufers auf einem Beistelltisch. „Elli, das ist … das ist Wahnsinn. Du
redest von einem Cyberangriff auf einen Pharma- Konzern! Wir sind ein Cyber-Security-Team! Wir würden auf die andere Seite wechseln.“
„Ich weiß“, flüsterte Elli, ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Aber was, wenn es die einzige Möglichkeit ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen? Was, wenn wir so vielleicht die Welt ein kleines Stück besser machen können?“
Adisa blickte aus dem Fenster, ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Sie spürte Ellis Verzweiflung, ihre Entschlossenheit. Und in der Tiefe ihrer Seele regte sich etwas, ein Funke, der vielleicht schon immer da war, aber nun zum ersten Mal aufflammte.
„Ich … ich muss darüber nachdenken, Elli. Das ist nicht so einfach.“ Adisas Stimme war leise, fast flüsternd. „Ich will helfen, wirklich. Aber ich muss wissen, auf was ich mich da einlasse.“
Elli nickte, ihr flossen nun Tränen die Wangen hinab.
„Danke, Adisa. Das ist alles, was ich verlangen kann.“
Als Elli die Wohnung verließ, fühlte sie sich erleichtert. Sie hatte ihre Karten auf den Tisch gelegt, und nun lag es an Adisa, ihre Entscheidung zu treffen.
Adisa verfolgte Elli mit ihrem Blick, bis sie hinter der Tür verschwunden war, und blieb dann für einen Moment regungslos sitzen. Ihr Herz schlug laut in ihrer Brust, und ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie Blätter im Sturm. Sie hatte Elli noch nie so verletzlich erlebt, und die Schwere der Situation lastete nun auch auf ihren eigenen Schultern.
Mit zitternden Händen griff Adisa nach dem kleinen goldenen Ring in ihrem Nasenpiercing, ein Geschenk ihrer Großmutter und ein Stück Heimat, das sie immer bei sich trug. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte, die Stimmen ihrer Ahnen zu hören und in deren Weisheit Trost zu finden.
Adisa war zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, hatte gelernt, Brücken zu bauen und Gräben zu überwinden. Sie wusste, wie es ist, sich zwischen den Welten zu bewegen, und hatte doch nie ganz ihren Platz gefunden. In der Cyber-Security-Welt war sie eine Kämpferin, klug und talentiert, aber tief in ihrem Inneren war sie immer noch das Mädchen, das in den Geschichten und Liedern ihrer Vorfahren Trost suchte.
Die Wände ihres Wohnzimmers waren mit bunten Stoffen drapiert, und kleine Lampions warfen ein sanftes Licht in den Raum. Hier, inmitten der Farben und Muster ihrer Herkunft, fand Adisa Halt und Geborgenheit. Hier konnte sie sie selbst sein, ohne sich verstellen zu müssen.
Sie dachte an ihre Arbeit im Cyber-Security-Team, an die Stunden, die sie vor dem Bildschirm verbrachte, um die digitale Welt ein kleines Stück sicherer zu machen. Und sie dachte an Elli, ihre Kollegin, die mehr war als nur eine Arbeitsbekanntschaft. Elli, die
immer für sie da war, auch wenn die Dämonen der Vergangenheit laut in Adisas Kopf schrien.
„Kann ich das wirklich tun?“, flüsterte Adisa in die Stille ihres Wohnzimmers. „Kann ich das Risiko eingehen und alles aufs Spiel setzen?“
Sie wusste, dass die Antwort tief in ihrem Inneren lag, verborgen unter den Schichten der Angst und Unsicherheit. Und während sie dort saß, umgeben von den Farben und Mustern ihrer Kultur, spürte sie, wie der Funke der Entschlossenheit in ihr zu einem Flämmchen wurde.
Elli hatte recht, dachte Adisa. Manchmal muss man ein Risiko eingehen, um die Welt zu verändern. Und vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, ihre Ängste zu überwinden und für das zu kämpfen, was richtig war.
Mit neu gewonnener Kraft stand Adisa auf und trat ans Fenster. Die Sonne war nun vollständig untergegangen, und die ersten Sterne blinkten am
Himmel. „Ich werde es tun“, flüsterte sie in die Nacht hinaus. „Ich werde Elli helfen und meinen Teil dazu beitragen, die Wahrheit ans Licht zu bringen und weitere Bedrohungen und Opfer zu verhindern.“
In diesem Moment wusste Adisa, dass sie sich auf einen gefährlichen Pfad begab, aber sie war dazu bereit. Denn sie hatte die Geschichten ihrer Vorfahren im Ohr und das Feuer der Entschlossenheit in ihrem Herzen. Und sie wusste, dass sie nicht alleine war.
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