Auf dem Bild sind drei Personen zu sehen, die in einem Straßencafé sitzen. Links vorne sitzt eine Frau mit kurzen, zerzausten schwarzen Haaren, grünen Augen und einer Lederjacke – es könnte Elli sein. Rechts sitzt ein Mann mit rötlichen, lockigen Haaren und einem kurzen Bart, möglicherweise Stig. Im Hintergrund sitzt ein weiterer Mann mit lockigem Haar. Die Szene wirkt abends, beleuchtet von Straßenlaternen.

Kapitel 11 – Szene #33

Szene 33. Begegnungen und Erinnerungen – bei den Lebenswinds

Das Wohnmobil ruckelte leicht, als Elli und Stig in die ruhige Straße im Kreuzviertel von Münster einbogen. Die Straßenlaternen warfen ein sanftes Licht auf die gepflegten Reihenhäuser. „Hier sind wir“, sagte Stig und parkte das Wohnmobil geschickt auf der Einfahrt vor dem Haus der Familie Lebenswind.

„So, mein Schatz, unser kleines Heim auf Rädern ist bereit“, sagte Elli mit einem Lächeln. Sie liebte es, immer ihr kleines Refugium dabei zu haben. Gerade jetzt, wo ihr Körper und ihre Seele nach den turbulenten Wochen etwas Ruhe brauchten.

Die Tür des Hauses öffnete sich und Wido trat heraus, ein herzliches Lachen auf den Lippen, während Daike ihm folgte, ein warmes Lächeln auf ihrem Gesicht. „Elli! Stig!“, rief Wido. „Willkommen in Münster!“

Nach einer herzlichen Begrüßung und einem kurzen Plausch beschlossen alle, den wunderschönen Frühlingstag für einen Spaziergang auf der Promenade zu nutzen. Wie immer fühlte sich Elli sofort wohl in der Gesellschaft der Lebenswinds.

Widos lockiges Haar fiel ihm immer wieder ins Gesicht, während er begeistert von seiner Arbeit und seinen neuesten Projekten erzählte. Daike, mit ihren mittellangen, sanft gewellten Haaren und ihrer ruhigen Ausstrahlung, hörte geduldig zu und warf ab und zu eine witzige Bemerkung ein.

Die Kinder tollten voraus, die Erwachsenen schlenderten hinterher. Luna, die Hündin, wirbelte um die Gruppe, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. „Sie ist wirklich eine Energiebombe“, lachte Daike, als Luna wieder zu ihnen zurückkehrte.

Als sie einen etwas abseits gelegenen Spielplatz erreichten, ließen die Erwachsenen die Kinder gewähren und setzten sich auf eine der Bänke. Die Promenade war hier ausnahmsweise fast

menschenleer. Elli spürte, wie eine innere Ruhe sie erfüllte, und nahm all ihren Mut zusammen.

„Ich muss euch etwas erzählen“, begann sie leise und berichtete von den Geschehnissen der letzten Wochen, von dem Pharma-Skandal, den sie zusammen mit ihren Freunden aufgedeckt hatte. Sie sprach von den Herausforderungen und den Gefühlen, die sie dabei begleitet hatten.

Wido hörte aufmerksam zu, seine strahlend blauen Augen auf Elli gerichtet. Er nickte ab und zu, verarbeitete die Informationen. Daike hielt ständig die Kinder im Blick, aber es war klar, dass sie trotzdem kein Wort von Elli verpasste. Hin und wieder nickte sie oder blickte Elli mit ihren bernsteinfarbenen, großen Augen einfühlsam an.

Elli war über den Zufall schon häufiger verwundert gewesen, dass Daike, Stig und sogar auch ihr Psychiater Timmek Lichtschein diese extrem seltene und sehr hübsche Augenfarbe hatten. Sie hatte schon häufiger darüber gewitzelt, dass zusammen mit ihren eigenen, ungewöhnlich tiefgrünen Augen beim Aufeinandertreffen von zwei oder mehr Menschen mit diesen extrem seltenen Merkmalen ein Beweis für die Möglichkeit mathematischer Unwahrscheinlichkeiten vorliegen würde.

Als Elli zu Ende gesprochen hatte, herrschte für einen Moment Stille. „Das ist wirklich eine unglaubliche Geschichte“, sagte Wido schließlich. „Und es ist beeindruckend, dass ihr trotz der Drohungen weitermacht.“

„Ja“, stimmte Daike zu, „du bist wirklich stark, Elli. Und wir sind immer für dich da, das weißt du, oder?“

Elli nickte, Tränen der Erleichterung in den Augen. Sie hatte nicht gewusst, wie sehr sie diese Worte nötig gehabt hatte. „Danke“, flüsterte sie.

Sie saßen noch eine Weile schweigend da, die Frühlingsstimmung umfing sie, die Kinder lachten im Hintergrund. Elli spürte, wie die Last der letzten

Wochen von ihr abfiel. Hier, bei ihren Freunden, war sie sicher.

Nach diesem intensiven, jedoch befreienden Gespräch schlenderte die Gruppe weiter die Promenade entlang. Luna, die Hündin, konnte ihre Energie kaum bändigen und jagte ausgelassen den flinken Kaninchen auf den umliegenden Rasenflächen hinterher. Fenja und Anouk, die Kinder von Wido und Daike, quiekten vor Vergnügen und amüsierten sich prächtig über das ausgelassene Treiben des Hundes.

Elli jedoch beobachtete die Szenerie mit gemischten Gefühlen. „Luna!“, rief sie schließlich und leinte die Hündin an. „Zum Schutz der Tiere und auch, um einen Unfall zu verhindern“, erklärte sie. „Luna könnte in ihrer Jagdstimmung leicht vor ein Fahrrad oder ein Auto laufen.“

Stig, der das Treiben bisher schmunzelnd beobachtet hatte, brummte etwas vor sich hin. Es war deutlich zu spüren, dass er darüber nicht erfreut war. „Sie will doch nur spielen“, murmelte er, den typischen Optimismus eines Kölners im Herzen tragend. „Et hätt noch immer jot jejange.“

Elli warf ihm einen scharfen Blick zu. „Es geht um Sicherheit, Stig, nicht um Spaß.“

Ein kleiner Streit schien sich anzubahnen, doch bevor die Wogen zu hoch schlagen konnten, schritt Wido ein. „Hey, ich habe eine Idee“, sagte er beschwichtigend und deutete auf einen nahegelegenen Biergarten. „Wie wäre es, wenn wir dort eine kleine Pause einlegen? Ich kenne den Wirt, das Bier ist gut, und die Kinder können sich ein Eis holen.“

Sofort hellten sich die Mienen auf und der aufkommende Streit war vergessen. „Pommes und Eis!“, jubelten Fenja und Anouk im Chor.

„Na, das klingt doch nach einem Plan“, sagte Elli und lächelte Stig versöhnlich an. „Komm, Luna“, flüsterte sie der Hündin zu, die mit gesenktem Kopf neben ihr her trottete. „Das wird schon wieder.“

Und so ließen sie die Sonne und die Frühlingsatmosphäre Münsters auf sich wirken, während sie dem Biergarten entgegenschlenderten, bereit für eine wohlverdiente Pause und ein weiteres Stück Gemeinschaft und Freundschaft.

Als die Freunde im Biergarten Platz nahmen, war es bereits Nachmittag und die Hungergefühle machten sich bemerkbar. „Ich könnte etwas Kleines essen“, gestand Wido, während er die Speisekarte studierte.

„Wir auch“, stimmten Daike und die Kinder zu. Elli und Stig tauschten einen kurzen Blick aus, wissend, dass ihre vegane Lebensweise und Ellis besondere Acht auf nachhaltige Lebensmittel ihre Auswahl etwas komplizierter gestalteten als die der Familie Lebenswind.

„Zum Glück haben sie hier eine gute Auswahl für uns“, sagte Elli erleichtert, als sie die veganen Optionen auf der Karte entdeckte. Münster, mit seiner großen Studentenpopulation, hatte in den letzten Jahren ein breites Angebot an nachhaltigen und veganen Gerichten in seinen Restaurants und Cafés etabliert.

„Was trinken wir dazu?“, warf Wido in die Runde, als die Bestellungen aufgegeben waren. „Ein Bier? Oder vielleicht einen Cocktail?“

„Cocktail?“, echote Elli, und plötzlich war sie gedanklich Jahre zurückversetzt, zu einer denkwürdigen Cocktail-Party bei Wido und Daike. Sie erzählte von den zahlreichen hochprozentigen Alkoholika, den Mix-Zutaten und der offenen Einladung an alle Gäste, sich nach Belieben zu bedienen.

„Ich war damals in einer schwierigen Phase“, gab Elli zu, ihre Stimme wurde leiser. „Existenzielle Sorgen, Unsicherheiten, meine Psyche, zu der ich noch herausfinden musste, was der Grund für meine ganzen Absonderlichkeiten war … und da war damals auch noch ein heimliches, hoffnungsloses, jugendliches Schwärmen für einen der Männer auf dieser Party. Ich war zu der Zeit ziemlich durcheinander.“ Sie lächelte schwach, errötete leicht, so als ob sie sich schämte, und ihre Augen verrieten die damalige Zerrissenheit.

„Red Moon Dawn“, murmelte sie und schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an den selbst kreierten Drink, der mehr Hochprozentiges enthielt, als gut für sie war. „Danach hatte ich den schlimmsten Kater meines Lebens.“

Stig legte besorgt eine Hand auf ihre Schulter. „Du musst aufpassen, Elli. Du weißt, wie gefährlich das sein kann.“

Elli nickte ernst. „Ich weiß, Stig. Es ist ein ständiger Balanceakt.“ Sie lächelte gezwungen und blickte dann zu Wido und Daike. „Aber ich bin froh, dass ich diese Zeit überstanden habe und heute mit euch allen hier sein kann.“

Die Bestellungen kamen, und während die Freunde aßen, schwang eine Melodie aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit, ein stilles Eingeständnis der Vergänglichkeit der Zeit und der kostbaren Momente, die sie miteinander teilten.

Während die Freunde weiter über vergangene Zeiten und ihre Beziehung zum Alkohol sprachen, wurde auch Stigs schwieriges Verhältnis zu alkoholischen Getränken thematisiert. Er neigte dazu, das Thema herunterzuspielen und sich selbst einzureden, dass er alles im Griff hatte. Doch die Wahrheit war, dass er eine tiefsitzende Schwäche für Alkohol hatte, die er nur ungern zugab.

„Ich genieße es einfach, nach einem spannenden Fußballspiel mit Leevi ein paar Biere zu trinken“, sagte Stig, doch seine Stimme verriet eine Spur von Verteidigung. Die anderen tauschten besorgte Blicke aus, denn sie wussten, dass es oft deutlich mehr als nur ein paar Biere waren.

„Stig, du musst aufpassen“, warnte Elli sanft, ihre Augen voller Sorge. „Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.“

Stig winkte ab, doch sein Lächeln wirkte gezwungen.

„Ich habe alles im Griff, wirklich.“ Tief im Inneren wusste er, dass seine regelmäßigen Abstürze mit Leevi nach den Stadionbesuchen mehr als nur harmloser Spaß waren. Er ahnte, dass sie ein Ventil für seinen Schmerz über den Selbstmord seiner Studienfreundin waren, ein Ereignis, das sein Leben nachhaltig verändert hatte.

Elli erinnerte sich daran, wie ihre gemeinsame Vorliebe für Alkohol sie in der ersten Zeit ihres Kennenlernens näher zueinander gebracht hatte.

„Weißt du noch, der Umzug?“, fragte sie leise, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Eine ganze Flasche finnischer Vodka!“

„Ja“, sagte Stig, sein Lächeln wurde wehmütig. „Das waren noch Zeiten. Aber wir waren jung und dachten nicht an die Konsequenzen.“

Die beiden tauschten einen langen Blick aus, eine stumme Kommunikation, die so viel mehr sagte, als Worte es könnten. Sie wussten beide, dass sie im Laufe der Jahre vorsichtiger geworden waren, aber die Schatten der Vergangenheit lauerten immer noch in den Ecken ihrer Seelen. Es war ein ständiges Ringen, das Gleichgewicht zu halten und nicht in alte Muster zurückzufallen.

Die Kinder, die das ernste Gespräch der Erwachsenen nur am Rande mitbekommen hatten, lenkten die Aufmerksamkeit auf sich, als sie lautstark nach Eis riefen. Und so kehrte die fröhliche Stimmung zurück, während die Schatten der Vergangenheit – zumindest für den Moment – in den Hintergrund traten.

Nachdem die Gruppe das Lokal verlassen hatte, schlenderten sie gemeinsam weiter entlang der Promenade, genossen die frische Luft und das lebhafte Treiben um sich herum. Als sie einen ruhigeren Abschnitt der Promenade erreichten, nutzte Wido die Gelegenheit, das Gespräch wieder auf den brisanten Pharma-Skandal um MedüX Pharma zu lenken.

„Ich habe noch einmal darüber nachgedacht“, begann Wido ernst, während er einen prüfenden Blick zu Elli und Stig warf. „Ihr solltet probieren, noch aussagekräftigere Daten zu bekommen. Ihr könnt doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie MedüX Pharma Menschenleben aufs Spiel setzt und eure Freunde nicht nur bedroht, sondern auch attackiert.“

Daike nickte, ihre Stirn in Sorgenfalten gelegt. „Ihr müsst handeln“, fügte sie mit Nachdruck hinzu, ihre Stimme leise, aber bestimmt.

Stig, der bisher den Blick schweifen gelassen hatte, richtete sich langsam auf. Er sah zwischen Wido und Daike hin und her und sah die Entschlossenheit in ihren Augen. „Ich weiß, dass ein Cyber-Angriff ethische Bedenken aufwirft“, gestand er. „Aber ich denke auch, in diesem Fall könnte es vielleicht das kleinere Übel sein.“

Elli schaute gedankenverloren in die Ferne. Die Blätter der Bäume raschelten im Wind, und in diesem Moment schien die Zeit stillzustehen. Ihre Gedanken rasten, als sie die möglichen Konsequenzen ihres Handelns abwog. „Im Grunde hatte ich längst dieselben Gedanken, und ich bin froh, dass ihr ähnlich denkt, aber wir müssen vorsichtig sein“, sagte sie schließlich, ihre Stimme fast ein Flüstern im Wind.

„Und wir müssen bereit sein, die Konsequenzen unseres Handelns zu tragen.“

Eine gespannte Stille legte sich über die Gruppe. Für einen Moment war nur das Gelächter der Kinder zu hören, die auf einer Wiese in der Nähe spielten. Wido und Daike nickten, und ein unausgesprochener Konsens schien die Luft zu durchdringen.

Daike beobachtete Elli nachdenklich und spürte, wie sich in ihr ein tiefes Mitgefühl regte. „Weißt du, zu dir passt das Sprichwort: Stille Wasser sind tief“, sagte sie leise, ihre Worte wie eine sanfte Berührung in der klaren Frühlingsluft. „Ich habe oft gedacht, dass in dir etwas schlummert, das nur geweckt werden muss, um große Kräfte zu entfalten. Es ist wie ein innerer Funke. Vielleicht ist das dein Thema – manchmal ist so ein innerer Funke kraftvoll genug, um draußen ein großes Feuer zu entfachen.“

Elli lächelte schwach, ein Hauch von Schüchternheit in ihren Augen, doch auch eine neue Entschlossenheit. „Vielleicht hast du recht“, murmelte sie, den Blick zu Boden gerichtet, bevor sie Daike dankbar ansah.

Wido, der die Schwere des Moments spürte, beschloss, die Stimmung etwas aufzulockern. Er reckte und streckte sich ein wenig und sagte mit einem verschmitzten Grinsen: „Nun, da in aller Stille ein Fünkchen entflammt ist, wie wäre es also, wenn Elli mit ihrem Team einfach diese Geschichte auf die stille Tour beendet und den Sprung ins kalte Wasser wagt?“

Seine Worte brachten ein Lächeln auf die Gesichter der anderen, und für einen kurzen Moment löste sich die Anspannung. Die Freunde lachten, und das Licht des späten Nachmittags tanzte in ihren Augen.

„Wir dürfen trotz allem nichts überstürzen“, sagte Elli nachdenklich. „Wir sollten die nächste Zeit nutzen, um in Ruhe einen Plan zu fassen. Ich bin bereits dabei, weitere Leute zu finden, die sich an dieser Aktion beteiligen könnten.“

„Und vergiss nicht“, fügte Wido hinzu und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter, „dass wir da sind, wenn es brenzlig wird.“

Elli nickte, dankbar für die Unterstützung ihrer Freunde. In diesem Moment spürte sie, wie eine neue Kraft in ihr erwachte—eine Entschlossenheit, die sie zuvor nur selten gefühlt hatte. Sie atmete tief durch, und die Gruppe setzte ihren Spaziergang fort.

Während sie weitergingen, war Ellis Herz erfüllt von einer neu gewonnenen Zuversicht. Hier, an der Seite ihrer Freunde, fühlte sie sich gestärkt und bereit, selbst den dunkelsten Herausforderungen ihres Lebens entgegenzutreten.

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