Szene 47 – Zwischen Wissenschaft und Skepsis – eine Weltdeutungsentzweiung
Im Gras sitzend, mit dem Rücken an den mächtigen Stamm der alten Eiche im Garten ihres Elternhauses gelehnt, beobachtete Elli die sanft raschelnden Blätter über ihr. Ihr Mann Stig stand in der Nähe und lehnte sich ebenfalls an den Baumstamm, während sein Blick auf die Szenerie vor ihm ruhte.
Elli’s Schwester Jori, deren starre Überzeugungen und konservative Haltung oft für Spannungen zwischen den Schwestern sorgten, saß ihr gegenüber auf einem Gartenstuhl. Was als harmlose Unterhaltung über Belanglosigkeiten begonnen hatte, driftete allmählich zu den drängenden Themen der Zeit – der Pandemie, der Klimakrise, den Kriegen. Der Ton zwischen ihnen verschärfte sich zunehmend.
„Du kannst doch nicht wirklich glauben, dass der Mensch für die Klimaveränderungen verantwortlich ist,“ sagte Jori mit einem spöttischen Unterton. „Es ist die Sonne, die sich verändert, nicht unser Verhalten.“
Elli spürte, wie ihre Geduld zu bröckeln begann. „Die Wissenschaft zeigt klar und deutlich, dass unser Einfluss auf das Klima real und gefährlich ist. Der Meeresspiegel steigt, und selbst kleine Veränderungen können verheerende Folgen haben.“
Jori schnaufte abfällig. „Ach, immer diese düsteren Vorhersagen. Du vertraust blind auf irgendwelche Quellen. Die Wissenschaft wird von Interessengruppen gelenkt, und du bist zu naiv, um das zu erkennen.“
Die Frustration stieg in Elli auf, aber sie hielt ihre Stimme ruhig. „Es geht nicht um Naivität, es geht um Fakten und um unsere Verantwortung. Der Meeresspiegel könnte um bis zu 80 Meter steigen. Vielleicht dauert es Jahrhunderte, aber die Bedrohung ist real.“
„Science-Fiction,“ lachte Jori ungläubig. „Du lässt dich von deiner Angst beherrschen, Elli.“
Stig, der das Gespräch bisher schweigend verfolgt hatte, trat einen Schritt näher. „Es ist wichtig, dass wir alle Fakten ernst nehmen,“ sagte er mit ruhiger Entschlossenheit, „denn die Konsequenzen sind real.“
Doch Jori schüttelte den Kopf. „Ich sehe das anders. Ihr klingt wie Panikmacher. Wir können sowieso nichts ändern, also warum sich sorgen?“
Das Gespräch eskalierte, als Elli ihre Emotionen nicht länger zurückhalten konnte. „Ich verstehe einfach nicht, wie du so blind sein kannst!“ Ihre Stimme zitterte vor aufgestauter Wut und Enttäuschung.
„Und ich verstehe nicht, wie du dich so manipulieren lassen kannst!“ entgegnete Jori scharf.
Die Luft zwischen ihnen war plötzlich dicht und schwer, erfüllt mit all den unausgesprochenen Vorwürfen und dem jahrelangen Unverständnis. Elli fühlte, wie der Boden, auf dem sie und ihre Schwester einst gemeinsam gestanden hatten, sich immer weiter auseinanderzog. Schließlich stand sie wortlos auf, ein klares Zeichen an Stig, dass es Zeit war zu gehen. Der Abschied war kühl, distanziert. Die Last ungelöster Konflikte und die Sorge um die Zukunft drückten schwer auf Ellis Schultern.
Als sie sich entfernten, flüsterte Stig: „Es wird nicht einfacher, nicht wahr?“
Elli schüttelte den Kopf, die Worte blieben ihr im Hals stecken. „Nein, das wird es nicht. Und es schmerzt umso mehr, weil ich meine Schwester wirklich liebe. Aber ich kann nicht aufhören, für das zu kämpfen, woran ich glaube.“
Eine Wolke zog vor die Sonne und hüllte den Garten in einen kalten Schatten. Dieser Schatten schien die tiefe Kluft widerzuspiegeln, die nicht nur zwischen zwei Schwestern, sondern auch zwischen zwei unversöhnlichen Weltsichten lag – eine Kluft, so tief und unheilvoll wie die Ozeane, deren steigende Fluten sie unerbittlich in eine ungewisse Zukunft trugen.
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Noch immer aufgewühlt von dem hitzigen Streit mit ihrer Schwester, spürte Elli ein tiefes Bedürfnis nach Trost. Sie sehnte sich nach einem vertrauten Gesicht, nach einem Ort, an dem sie sich sicher fühlte. Der Gedanke an Ylvi, ihre Kindheitsfreundin, brachte ein wohltuendes Gefühl der Ruhe. Ylvi, die nie aus dem Dorf weggezogen war und als Tierärztin arbeitete, war für Elli der Inbegriff von Beständigkeit und Bodenständigkeit.
Elli hatte es im Gegensatz zu Ylvi in jungen Jahren in die Großstadt gezogen. Die beiden Frauen verband jedoch unter anderem ein tiefes Verständnis für die Dringlichkeit des Klimaschutzes und für die Besinnung des Menschen auf Nachhaltigkeit und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Tier- und Pflanzenwelt.
Zusammen mit Stig und ihrer treuen Hündin Luna machte sie sich auf den Weg zu Ylvis Hof. Schon als sie den Hof betraten, wurden sie von Ava, Ylvis Norwegischem Lundehund, stürmisch begrüßt. Die beiden Hunde beschnüffelten sich neugierig, während Ylvi aus der Scheune trat, ihr Haar praktisch zu einem Dutt gebunden.
„Elli!“ rief Ylvi mit einem warmen, aber leicht vorwurfsvollen Ton. „Es ist eine Ewigkeit her!“
Nach einer herzlichen Umarmung setzten sich die beiden Frauen zusammen mit Stig auf die alte Holzbank vor der Scheune. Elli genoss die vertraute Umgebung auf dem Hof ihrer Freundin, während sie von den jüngsten Ereignissen erzählte, die sie belasteten. Sie erwähnte die Auseinandersetzung mit ihrer Schwester, hielt jedoch die übernatürlichen Ereignisse der letzten Tage bewusst zurück.
Ylvi verstand Ellis Engagement im Pharmaskandal, hörte aufmerksam zu und gab hin und wieder Ratschläge. Doch sie liebte es, das Gespräch auf die konkreteren Themen ihrer Arbeit zu lenken. „Die Welpen der Border Collies haben endlich alle ein Zuhause gefunden. Und die alte Stute, weißt du noch, wie schwierig sie war? Sie hat sich erstaunlich gut erholt.“
Elli lächelte, während sie Ylvis Leidenschaft für ihre Tiere beobachtete. Doch sie konnte nicht umhin, ein leichtes Bedauern in Ylvis Stimme zu spüren, als diese anmerkte, dass Elli sich zu selten blicken ließ. „Du fehlst hier, Elli. Das Dorf ist nicht dasselbe ohne dich.“
Elli spürte einen leichten Stich im Herzen. „Ich weiß“, sagte sie sanft. „Es tut mir leid, dass ich nicht öfter hier sein kann.“
Anschließend wandte sich das Gespräch den Themen zu, über die Elli mit Jori gestritten hatte – dem Umweltschutz und der Erderwärmung. Hier fanden die beiden Frauen sofort Übereinstimmung. „Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um unsere Umwelt zu schützen“, sagte Ylvi nachdrücklich. „Nicht nur für uns, sondern auch für die Tiere und die kommenden Generationen.“
„Genau das versuche ich den Menschen zu vermitteln“, antwortete Elli, „aber es ist schwer, wenn man so viel Widerstand spürt – sogar in der eigenen Familie.“
Als das Gespräch auf Ellis Gedankenschatten kam, wurde Ylvi nachdenklich. „Ich erinnere mich, dass du schon als Kind manchmal so in dich gekehrt warst. Ich habe es damals nicht verstanden. Jetzt tut es mir leid, dass ich dir nicht mehr beistehen konnte.“
Elli legte ihre Hand sanft auf Ylvis Arm. „Du warst immer da, Ylvi. Manchmal brauchen wir einfach jemanden, der uns zuhört. Genau das hast du für mich getan und das werde ich niemals vergessen.“
Sie saßen noch eine Weile beisammen, begleitet vom ausgelassenen Spiel der Hunde, die über den Hof tollten. Als die Sonne am Horizont unterging, war es Elli schwer ums Herz, Abschied zu nehmen. „Ich werde versuchen, öfter vorbeizukommen“, versprach sie.
Ylvi lächelte. „Das würde mich freuen. Und vergiss nicht: Egal, wohin dein Weg dich führt, hier im Dorf hast du immer ein Zuhause.“
Mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit machte sich Elli mit Stig und Luna auf den Heimweg. Die Begegnung mit Ylvi hatte sie daran erinnert, dass trotz aller Konflikte und Herausforderungen die Freundschaft und die Liebe zur Natur wichtige Ankerpunkte im Leben sind. Sie können zwar die stürmischen Zeiten nicht verhindern, aber sie geben Kraft und Orientierung, um den Herausforderungen mutig entgegenzutreten – auch wenn die Zukunft ungewiss bleibt.
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