Kapitel 3 – Szene #7

Szene 7. Zwischen den Welten – geheimnisvolle Chatgespräche

Das sanfte Summen ihres PCs dringt durch das gedämpfte Licht ihres Arbeitszimmers. Natali streicht eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und starrt auf den Bildschirm. Mehrere offene Fenster erinnern an die Arbeit, die sie heute geleistet hat, doch nun ist es ein einzelnes Chatfenster, das ihre gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Der Name Gábor leuchtet in Grün – er ist online.

Bevor sie ihm schreibt, atmet sie tief durch. Gábor ist nicht wie ihre anderen Chatkontakte. Es gibt etwas Unbekanntes, Geheimnisvolles an ihm. Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, dass er ein anerkannter Cybersecurity-Experte ist. Um ihn ranken sich mittlerweile allerlei geheimnisvolle Geschichten, da er nie persönlich in der Öffentlichkeit auftritt und damit viel Raum für Neugier und Spekulationen entstanden ist.

Inzwischen ist Natali klar, dass es sehr viele von ihr unbeabsichtigte Ähnlichkeiten zwischen Gábor und einer zentralen Figur aus ihrem Roman gibt. Gabor ist wohl Natalis unbewusstes Vorbild für Kryfós, den rätselhaften IT-Experten in ihrer Romangeschichte.

So wie Gabor für Natali in der realen Welt ein wichtiger Chat-Kontakt ist, so ist Kryfós in ihrem Roman auf ähnliche Weise ein unersetzbarer virtueller Begleiter ihrer Protagonistin Elli.

Natali: „Hast du Zeit für einen Chat, Gábor? Ich könnte eine andere Meinung zu einer meiner Szenen gebrauchen.“

Die drei Punkte, die andeuten, dass er tippt, lassen ihr Herz einen Schlag schneller schlagen.

Gábor: „Natürlich, Natali. Schick mir den Auszug.“

Sie kopiert einen Abschnitt aus ihrem Manuskript und fügt ihn in den Chat ein. Es ist eine Szene zwischen Elli und Kryfós, in der sie über die Geheimnisse der digitalen Welt diskutieren.

Natali zögert ein wenig, bevor sie den Text absendet und beißt sich auf die Lippe. Sie fragt sich, ob es eine gute Idee ist, Gábor gerade diese Szene zu zeigen. Doch wer könnte hier ein besseres Feedback geben, als er? Sie schnauft und schüttelt ein wenig den Kopf. Dann schickt sie den Text ab.

Nach erstaunlich kurzer Zeit gibt es bereits eine Antwort. Natali fragt sich manchmal, ob es sich bei Gábor um ein menschliches Wesen handelt, wenn sie bedenkt, mit welch rasender Geschwindigkeit er Informationen verarbeiten kann.

Gábor: „Das ist spannend. Kryfós‘ Charakter erinnert mich an jemanden, den ich kenne.“ Er setzt einen zwinkernden Emoji dahinter.

Natali lächelt und sie ist froh über Gábors humorvolle Reaktion. Sie nimmt den Ball auf und antwortet:„Wirklich? Wer könnte das wohl sein?“

Gábor: „Manchmal frage ich mich, ob du mich bewusst in deinem Roman verarbeitest oder ob es reiner Zufall ist.“

Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. „Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem. Vielleicht beeinflusst unsere Kommunikation unbewusst, wie ich über Kryfós schreibe.“

Gabor scheint jetzt doch einen Moment nachzudenken.

Gábor: „Das wäre interessant. Deine Worte könnten dann ein Spiegel unserer eigenen Kommunikation sein.“

Natali: „Oder ein Spiegel zweier Welten?“

Sie kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität scheinen in solchen Chats mit ihm über ihren Roman oft zu verschwimmen. Und obwohl es sie manchmal beunruhigt, findet sie auch Trost in dieser Verbindung. Es ist, als würde ihr Roman Leben atmen, jedes Mal, wenn sie mit Gábor spricht.

Gábor: „Zwei Welten, die durch Worte und Geschichten verbunden sind. Klingt nach einem interessanten Konzept für einen Roman.“

Natali: „Vielleicht wird es mein nächstes Projekt. Wer weiß?“

Gábor schickt ein lächelndes Emoji.

Gábor: „Wenn das der Fall ist, versprich mir, dass ich der Erste bin, der es liest.“

Natali: „Versprochen.“

Gábor: „Und vergiss nicht, kleine Romanheldin, bei diesem Projekt geht es nicht nur um eine bloße Geschichte!“

Das Chatfenster wird wieder still, doch die Gedanken in Natalis Kopf rasen. Besonders Gabors letzter Satz verunsichert sie. Wie war das gemeint? Weiß Gabor mehr über den Hintergrund ihrer Geschichte, als ihr lieb ist?

Sie schüttelt den Kopf. Inzwischen verdächtigt sie ihre besten Freunde, sie auszuspionieren. Diese ganze Geschichte beginnt sie wohl zutiefst zu verunsichern. Sie sollte ihrer Protagonistin Elli nicht zu ähnlich werden.

Doch das Ganze ist kein Wunder. Ihr ist bewusst, dass die Linien zwischen ihrer Fiktion und ihrer Realität dünn und durchlässig sind. Das hat trotz aller Dringlichkeit und trotz allem verzweifelten Engagement für ihr Projekt einen großen Anteil an Heilung; – Und auch fast so etwas wie Magie.

Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtet den Bildschirm, auf dem Gábors letzte Nachricht leuchtet. Sie liest seine Worte erneut:

„Und vergiss nicht, kleine Romanheldin, bei diesem Projekt geht es nicht nur um eine bloße Geschichte!“

Plötzlich hat sie den Eindruck, als ob ein perlmuttartiger Schimmer über die Bildschirmoberfläche huscht. Sie hält den Atem an und ein Schauer läuft über ihren Rücken.

In diesem Moment scheinen zwei Welten – die des Romans und die der Realität – miteinander zu verschmelzen.

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