Szene 24. Am Scheideweg der Entscheidungen – Krisentreffen im Schatten der Wahrheit
In Lios geräumigem Wohnzimmer, dessen hohe Decken und kühle Steinböden dem Raum etwas Majestätisches gaben, hatte sich eine angespannte Atmosphäre ausgebreitet. Als Lio die anderen begrüßte, fiel das Licht des Zimmers auf seine bunten Tattoos – kunstvolle Darstellungen von Tieren und filigranen Pflanzenranken, die in starkem Kontrast zu seiner komplett schwarzen Kleidung standen. Er war groß und sportlich, aber trotz dieser imposanten Erscheinung konnte man, wenn man genau hinschaute, eine gewisse Unsicherheit in seinen dunkelbraunen Augen erkennen. Der orange Schimmer seiner wuscheligen Haare und das Blitzen des Piercings an seiner Unterlippe waren Zeugnisse seiner rebellischen Ader, aber gleichzeitig war da auch etwas Zartes, Einfühlsames in seiner Haltung. Ein stummes Zeugnis seiner inneren Kämpfe und der Ängste, die ihn manchmal noch heimsuchten. Lio hatte einen schweren Holztisch in der Mitte des Zimmers platziert und darauf Snacks und Getränke arrangiert, doch keiner der Anwesenden schien Appetit zu haben.
„Danke, dass ihr alle gekommen seid“, begann Elli, ihr Blick flackerte zwischen den anderen hin und her. Ihre Stimme klang müde, aber bestimmt. „Ich weiß, dass die Lage ernst ist, und dass wir uns bisher hauptsächlich online getroffen haben. Aber das hier… das hier ist etwas anderes.“
Vinoa, ihre Augen kraftvoll und entschlossen, nickte. „Wir müssen das Angebot ernst nehmen. Es könnte unsere Chance sein.“
Dimi, der mit verschränkten Armen dastand, runzelte die Stirn. „Es könnte auch eine Falle sein. Vinoa, wir haben kaum Informationen, und was Elli mir bisher erzählt hat… es klingt…“, er zögerte und suchte nach dem richtigen Wort, „…gefährlich.“
Runa rieb sich die Schläfen. „Ich habe ein ungutes Gefühl. Es ist, als ob wir auf einem schmalen Grat wandern und jeder Schritt könnte uns in den Abgrund stürzen.“
Vinoa stand auf und ging zu einem der großen Fenster. „Wir können nicht einfach nur reagieren. Wir müssen handeln.“
„Ja, aber wie?“, warf Runa ein. „Und wenn ja, mit welchen Informationen? Wir tappen im Dunkeln.“
Elli lehnte sich zurück. „Ich denke, bevor wir irgendetwas entscheiden, sollten wir einige Experten konsultieren. Menschen, denen wir in großem Maß vertrauen und von denen wir wissen, dass solche Informationen mit absoluter Diskretion von ihnen behandelt werden. Wir müssen hier mehr Licht ins Dunkel bringen.“
Lio nickte zustimmend. „Wir brauchen mehr verlässliche Informationen und einen klaren Plan. Sonst könnten wir uns in eine Situation manövrieren, aus der es kein Zurück gibt.“
Nach einem Moment des Nachdenkens fügte Dimi hinzu: „Egal, was wir tun, wir müssen zusammenhalten. Das ist das Wichtigste.“
Die Gruppe stimmte ihm zu. Auch wenn sie sich noch nicht sicher waren, welche Schritte sie als nächstes unternehmen sollten, waren sie sich einig, dass sie nur gemeinsam eine Chance hatten, diese riskante Geschichte zu bewältigen.
Elli räusperte sich und schaltete ihren Tablet-Computer ein. „Ich habe hier einige der Informationen, die mir zugespielt wurden. Sie betreffen MedüX Pharma und einige Vorgänge, die auf den ersten Blick… nun ja, kriminell erscheinen und unseren ursprünglichen Verdacht bestätigen.“
Sie wischte über den Bildschirm und projizierte mehrere Dokumente an die Wand. Es waren E-Mails, Fotos von verdächtigen Transaktionen und einige verschlüsselte Nachrichten.
„Das hier“, Elli deutete auf eine E-Mail, „scheint eine interne Kommunikation zwischen einigen hochrangigen Mitarbeitern von MedüX zu sein. Es geht um die Verlagerung von Geldern in Offshore-Konten.“
Lio lehnte sich vor, seine Stirn in Falten gelegt. „Das könnte auf Geldwäsche oder Steuerhinterziehung hindeuten.“
Vinoa schnaubte. „Das wäre nicht das erste Mal, dass ein großes Pharmaunternehmen in solche Geschäfte verwickelt ist.“
Runa tippte auf ein Foto, das eine Lieferung unbekannter Produkte in ein Lager von MedüX zeigte. „Und was ist das?“
Elli zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Aber es könnte etwas sein, das sie verstecken wollen. Etwas Illegales vielleicht.“
Elli wischte weiter und eine Reihe von Tabellen und Diagrammen tauchte auf. „Das hier ist besonders beunruhigend“, murmelte sie. „Nach diesen Daten, die mir zugespielt wurden, hat MedüX offenbar tatsächlich einige ihrer klinischen Studiendaten manipuliert oder zurückgehalten.“
Sie zoomte in eines der Diagramme, das einen deutlichen Abfall der Wirksamkeit eines MedüX-Medikaments nach einem bestimmten Zeitpunkt zeigte. „Seht euch das an! Die Daten zeigen, dass das Medikament nach sechs Monaten seine Wirksamkeit verliert. Aber in den offiziellen Berichten, die sie veröffentlicht haben, gibt es keinen solchen Abfall.“
Runa schnappte nach Luft. „Das bedeutet, sie verkaufen ein Medikament, von dem sie wissen, dass es nicht funktioniert? Das ist kriminell!“
Vinoa zischte wütend: „Und es könnte Menschenleben gefährden.“
Dimi rieb sich das Kinn. „All das sind ernsthafte Anschuldigungen, Elli. Wenn das stimmt und herauskommt, könnte es große Auswirkungen haben.“
Elli nickte. „Das ist mir bewusst. Wir müssen sicher sein, dass es sich um Fakten handelt. Ich habe Kontakte zu einigen Experten im Bereich der digitalen Forensik und zu Rechtsanwälten, die sich auf Unternehmenskriminalität spezialisiert haben. Sie könnten uns helfen, die Authentizität dieser Dokumente zu überprüfen und uns beraten, wie wir am besten vorgehen.“
Dimi runzelte die Stirn. „Diese einzelnen Dokumente und Diagramme allein sind aber nicht genug. Sie könnten behaupten, es handelt sich um einen Fehler oder um ungenaue Messungen. Sie könnten auch behaupten, die Dokumente seinen Fälschungen in der Absicht, dem Unternehmen zu schaden.“ Er machte eine kurze Pause und schüttelte zweifelnd den Kopf. „Das könnte auch wirklich sein, wir kennen die Quelle selbst nicht genau genug. Wir sollten das prüfen und wir brauchen weitere Belege.“
Elli nickte. „Genau deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir auch die Daten selbst bekommen, die sie zurückgehalten haben. In meiner Chatsitzung mit dem …. äh …“ Sie blickte etwas nervös in die Runde und räusperte sich. “ … mit dem mysteriösen Informanten, habe ich erfahren, dass es laut seines Wissens mindestens eine Datenbank mit brisanten Daten gibt, die den Skandal belegen. Doch um diese Daten zu bekommen, benötigen wir Zugang zu ihren Servern.“
Lio rieb sich die Schläfen. „Das ist ein gefährliches Spiel, Elli. Wenn wir erwischt werden, sind wir dran.“
Runa nickte. „Wir sind nicht nur dran, sondern müssen uns damit abfinden, dass wir auf die Seite von denjenigen gewechselt sind, deren Bekämpfung wir unser bisheriges Lebenswerk gewidmet haben; – Unsere Jobs wären wir zusätzlich auch endgültig los, da könnt ihr sicher sein.“
Elli seufzte. „Ich weiß. Aber denkt an all die Menschen, die dieses Medikament nehmen, in dem Glauben, es würde ihnen helfen. Wir können nicht einfach wegschauen.“
Die Gruppe war für einen Moment still, dann nickte Lio. „Du hast recht. Aber wir müssen vorsichtig sein. Und wir müssen sicherstellen, dass unsere Quellen geschützt sind.“
Elli nickte. „Natürlich. Dieser mysteriöse Informant weiß sich aber auch selbst zu schützen. Er weiß genau, was er tut, da bin ich sicher.“
Lio seufzte. „Gut, dann machen wir also weiter. Zusätzliche, stichhaltige Informationen zu bekommen, wird aber nicht einfach. MedüX ist ein riesiges Unternehmen mit vielen Ressourcen. Sie werden alles tun, um Schaden abzuwenden.“ Er schaute wieder mit einem sehr skeptischen Blick in die Runde. „Wenn dieser Skandal sich als wahr herausstellt, sollten wir uns wirklich wappnen. Ihr wisst aus eurem Job, welche kriminellen Machenschaften in so einem Kontext möglich sind und wer weiß, welche Drahtzieher in diese Geschichte verwickelt sind und wozu sie fähig sind.“
Vinoa stand auf und kam zu Elli. „Aber wir haben auch Ressourcen. Und wenn das alles wahr ist, dann haben wir die Pflicht, es aufzudecken.“
Elli lächelte entschlossen. „Ja, das sehe ich auch so. Ich habe schon bestimmte Kontakte im Blick, die ich bitten kann, sich auf absolut diskrete Weise das Material anzusehen. Das ist also der nächste Schritt, denke ich.“
Die Gruppe nickte zustimmend. Es war ein riskanter Schritt, aber sie waren entschlossen, die Wahrheit herauszufinden, egal welche Gefahren dies mit sich brachte.
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