Szene 7. Zwischen den Welten – geheimnisvolle Chatgespräche
Das sanfte Summen ihres PCs dringt durch das gedämpfte Licht ihres Arbeitszimmers. Natali streicht eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und starrt auf den Bildschirm. Mehrere offene Fenster erinnern an die Arbeit, die sie heute geleistet hat, doch nun ist es ein einzelnes Chatfenster, das ihre gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Der Name Gábor leuchtet in Grün – er ist online.
Bevor sie ihm schreibt, atmet sie tief durch. Gábor ist nicht wie ihre anderen Chatkontakte. Es gibt etwas Unbekanntes, Geheimnisvolles an ihm. Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, dass er ein anerkannter Cybersecurity-Experte ist. Um ihn ranken sich mittlerweile allerlei geheimnisvolle Geschichten, da er nie persönlich in der Öffentlichkeit auftritt und damit viel Raum für Neugier und Spekulationen entstanden ist.
Inzwischen ist Natali klar, dass es sehr viele von ihr unbeabsichtigte Ähnlichkeiten zwischen Gábor und einer zentralen Figur aus ihrem Roman gibt. Er ist wohl ihr unbewusstes Vorbild für Kryfós, den rätselhaften IT-Experten aus ihrem Roman.
Natali schreibt: „Hast du Zeit für einen Chat, Gábor? Ich könnte eine andere Meinung zu einer meiner Szenen gebrauchen.“
Die drei Punkte, die andeuten, dass er tippt, lassen ihr Herz einen Schlag schneller schlagen.
Gábor antwortet: „Natürlich, Natali. Schick mir den Auszug.“
Sie kopiert einen Abschnitt aus ihrem Manuskript und fügt ihn in den Chat ein. Es ist eine Szene zwischen Elli und Kryfós, in der sie über die Geheimnisse der digitalen Welt diskutieren.
Natali zögert ein wenig, bevor sie den Text absendet und beißt sich auf die Lippe. Sie fragt sich, ob es eine gute Idee ist, Gábor gerade diese Szene zu zeigen. Doch wer könnte hier ein besseres Feedback geben, als er? Sie schnauft und schüttelt ein wenig den Kopf. Dann schickt sie den Text ab.
Nach erstaunlich kurzer Zeit gibt es bereits eine Antwort. Natali fragt sich manchmal, ob es sich bei Gábor um ein menschliches Wesen handelt, wenn sie bedenkt, mit welch rasender Geschwindigkeit er Informationen verarbeiten kann.
Gábor schreibt: „Das ist spannend. Kryfós‘ Charakter erinnert mich an jemanden, den ich kenne.“ Er setzt einen zwinkernden Emoji dahinter.
Natali lächelt und sie ist froh über Gábors humorvolle Reaktion. Sie nimmt den Ball auf und antwortet: „Wirklich? Wer könnte das wohl sein?“
Gábor schreibt: „Manchmal frage ich mich, ob du mich bewusst in deinem Roman verarbeitest oder ob es reiner Zufall ist.“
Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. „Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem. Vielleicht beeinflusst unsere Kommunikation unbewusst, wie ich über Kryfós schreibe.“
Gabor scheint jetzt doch einen Moment nachzudenken.
Dann erscheint Gábors Antwort: „Das wäre interessant. Deine Worte könnten dann ein Spiegel unserer eigenen Kommunikation sein.“
Blitzschnell ergänzt Natali: „Oder ein Spiegel zweier Welten?“
Sie kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität scheinen in solchen Chats mit ihm über ihren Roman oft zu verschwimmen. Und obwohl es sie manchmal beunruhigt, findet sie auch Trost in dieser Verbindung. Es ist, als würde ihr Roman Leben atmen, jedes Mal, wenn sie mit Gábor spricht.
Gábors nächste Chateingabe erscheint: „Zwei Welten, die durch Worte und Geschichten verbunden sind. Klingt nach einem interessanten Konzept für einen Roman.“
Natali schreibt: „Vielleicht wird es mein nächstes Projekt. Wer weiß?“
Gábor schickt ein lächelndes Emoji.
Dann schreibt Gábor: „Wenn das der Fall ist, versprich mir, dass ich der Erste bin, der es liest.“
Natali lächelt und tippt ihre Antwort in den Chat: „Versprochen.“
Dann leuchten Gábors Abschiedsworte im Chat auf und Natali fährt erneut ein Schauer über den Rücken: „Und vergiss nicht, kleine Romanheldin, bei diesem Projekt geht es nicht nur um eine bloße Geschichte!“
Das Chatfenster wird wieder still, doch die Gedanken in Natalis Kopf rasen. Ihr ist bewusst, dass die Linien zwischen ihrer Fiktion und ihrer Realität dünn und durchlässig sind. Und das macht das Schreiben für sie so magisch.
Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtet den Bildschirm, auf dem Gábors letzte Nachricht leuchtet. Plötzlich hat sie den Eindruck, als ob ein perlmuttartiger Schimmer über die Bildschirmoberfläche huscht. In diesem Moment scheinen zwei Welten – die des Romans und die der Realität – miteinander zu verschmelzen.
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