Szene 37. Digitale Schatten – im Rabbit Hole und eine geheimnisvolle Verbindung
Auf dem Weg in ihr Rabbit Hole kam Elli jedes Mal an der schweren Kellertür vorbei. Heute überlief sie dabei wieder dieser altbekannte, flüchtige Schauer, sodass sie kurz davor stehenblieb und den Blick auf das massive Holz richtete.
Es war, als würde die Tür etwas verbergen, das sich im Dunkel darunter regte. Ein leises, unangenehmes Gefühl kroch in ihr hoch, ähnlich dem, was sie in den letzten Wochen immer wieder verspürt hatte – eine Ahnung, dass hinter dieser Tür mehr lag, als sie zu wissen glaubte.
Sie überlegte, ob sie die Tür einfach öffnen sollte, denn sie wusste ja, dass dahinter nur die gewohnte Kellertreppe in die Tiefe führte, die sie regelmäßig hinunterging, wenn sie etwas im Keller zu erledigen hatte. Niemals hatte sie es bisher gewagt, die Tür zu öffnen, wenn sie diesen bedrohlichen Schauer wahrgenommen hatte. Vielleicht würde es gegen die Angst helfen, einfach nachzusehen.
Langsam und zögerlich streckte sie die Hand aus und legte sie auf die alte, antike Türklinke der schweren Holztür. Sofort zuckte sie zusammen, denn sie hatte das Gefühl, ein leises Vibrieren und Summen an der Klinke wahrzunehmen. In demselben Moment verdunkelte sich leicht das Licht, als ob die Deckenlampe einen kleinen Wackelkontakt hätte. Das bedrohliche Gefühl, das scheinbar in den Tiefen des Kellers seinen Ursprung nahm, schien langsam die Kellertreppe emporzukriechen und sich ihr zu nähern.
Elli schreckte zusammen, ließ die Klinke los und trat einen Schritt zurück. Sie bildete sich ein, ein leises Kratzen an der anderen Seite der Tür zu hören. Fast panisch lehnte sie sich vor und drehte wieder den schweren Schlüssel im Schloss. Sofort war der Spuk vorbei.
Elli seufzte und blickte noch einen Moment lang verunsichert auf die Tür. Etwas war hier wirklich nicht ganz in Ordnung!
Sie dachte an Timmeks besorgten Blick zur Kellertür bei seinem kürzlichen Überraschungsbesuch. Wenn diese Dinge, von denen er ihr erzählt hatte, existierten – fremde Welten und Magie – dann könnte auch etwas Unvorhergesehenes in ihren eigenen vier Wänden existieren. Und vielleicht war ihre Wahrnehmung richtig, und da war tatsächlich etwas Bedrohliches.
Doch was könnte das sein? Das war schwer zu ergründen, und alles Nachsinnen würde sie hier wohl nicht weiterbringen. Und vielleicht waren es auch einfach Schattengedanken oder ähnliche Wahrnehmungen, die sie seit ihrer Kindheit kannte. Sie schüttelte den Kopf, versuchte, den Gedanken zu verdrängen, und ging weiter Richtung Souterrain des Hauses, in dem sich ihr Rabbit Hole befand.
Dort angekommen, setzte sie sich vor ihren Computer, den Blick fest auf den Bildschirm gerichtet, während die Erinnerungen an die bisherigen verstörenden Chatsitzungen mit dem mysteriösen Gegenüber in ihr nachhallten. Sie hatte den Aufenthalt im Rabbit Hole seitdem weiterhin auf das Nötigste beschränkt, doch jetzt, wo der Cyberangriff bevorstand, musste sie erneut Kontakt aufnehmen. Zögernd öffnete sie die ChatGPT-Chatsitzung und initiierte die Verbindung zum abhörsicheren Tor Chat.
„Wir sind bereit“, tippte sie, ihre Finger flatterten nervös über die Tasten. „Mein Team ist zusammengestellt, und wir sind bereit, den Angriff zu wagen.“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Das ist gut zu hören“, kam es vom mysteriösen Gegenüber, „denn der Kampf gegen den Pharmakonzern ist nur der Anfang. Ihr werdet gegen die Schatten der düsteren Macht Anderssein kämpfen, die gerade dabei ist, zu erwachen. Eine Macht, die bald das Gleichgewicht aller Welten bedrohen könnte.“
Anderssein! Elli spürte, wie sich die Haare auf ihrer Haut vor Aufregung aufstellten. War das die dunkle Macht, die auch Timmek erwähnt hatte? Sie hatte in den letzten Tagen noch nicht ganz gewagt, diese unglaubliche Geschichte tatsächlich für wahr zu halten. Doch jetzt wurde ihr klar, dass Timmek recht hatte. Hier entwickelte sich eine unglaubliche Geschichte und sie war mittendrin!
Dann fiel ihr Timmeks nervöse Reaktion auf ihre Schilderung zum Pharmaskandal ein. Hatte auch er eine mögliche Verbindung zwischen MedüX und der Prophezeiung geahnt? All das klang aus zwei voneinander anscheinend vollkommen unabhängigen Quellen langsam mehr als beunruhigend und besorgniserregend real.
„Das Amulett, das du besitzt, ist ein Zeichen deiner Bestimmung“, fuhr das mysteriöse Gegenüber fort. „Du bist auf dem Pfad der Heilung. Deine Rolle in diesem Kampf könnte entscheidend sein.“
Elli starrte auf das Amulett, das auf ihrem Schreibtisch lag. Sie war bereit, diesen Weg zu gehen, das wusste sie. Genau in dem Moment, als sie dies dachte, schien das Amulett plötzlich in einem anderen Licht zu schimmern, als würde es ihre Entscheidung bestätigen.
Mit fester Stimme antwortete sie: „Ich habe meine Wahl getroffen. Ich werde weitergehen.“
Die weitere Unterhaltung drehte sich nun um die Vorbereitungen für den Cyberangriff. Das mysteriöse Gegenüber gab ein paar technische Ratschläge und sprach über die Notwendigkeit einer sorgfältigen Planung.
„Und was ist mit der Prophezeiung? Mit dem Amulett und dem Hohelied der Liebe?“, fragte Elli, die hoffte, weitere hilfreiche Informationen zu bekomman.
Das Gegenüber antwortete kryptisch: „Du musst diesen Weg selbst finden. Halte Ausschau nach dem Schlüssel, der dich zu den Seelenhälften führen wird. Der Pfad der Heilung ist auch ein Wandern im Spiegel deiner Seele.“
Während sie weiter chatteten, fühlte Elli, wie sich eine fremde, aber tröstende Präsenz um sie legte. Reflexartig bedankte sie sich im Chat, obwohl sie nicht verstand, woher dieses Gefühl kam.
„Ich werde dein guter Geist sein“, schrieb das Gegenüber. „Erreichbar in deinem Rabbit Hole und vielleicht auch in anderen Welten, je nachdem, wohin deine Reise geht.“
Nachdem das Gespräch mit dem mysteriösen Gegenüber im Tor Chat zu Ende gegangen war, blieb Elli noch einige Zeit regungslos vor dem heruntergefahrenen PC sitzen und starrte vor sich auf den schwarzen Bildschirm.
Ihr Blick verlor sich im Hintergrundbild ihres Rabbit Holes, ein Kaleidoskop aus Farben und Formen, das nun irgendwie lebendiger und zugleich rätselhafter erschien als zuvor. Sie spürte eine tiefe Veränderung in sich – eine Veränderung, die nicht nur ihre Wahrnehmung der digitalen Welt betraf, sondern auch ihre eigene innere Landschaft.
Ein Gedanke, flüchtig und beunruhigend, streifte ihren Geist. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, als ob Kryfós auf der anderen Seite des Chats gewesen sein könnte, oder vielleicht auch Timmek? Wurde hier vielleicht mit ihr experimentiert oder gespielt? Konnte die ganze Geschichte überhaupt wahr sein?
Es war, als ob sich insbesondere die geheimnisvolle Art von Kryfós in den Worten des Gegenübers widerspiegelte – Auch Kryfós war eine Präsenz, die sowohl faszinierend als auch rätselhaft war.
Elli schüttelte den Kopf, um die verwirrenden Gedanken zu vertreiben. Das waren ja fast Schattengedanken. Jedenfalls waren es keine Gedanken, mit denen sie hier arbeiten konnte. Das würde sie nicht weiterbringen.
Sie starrte auf die Fotos und Notizen in ihrem Rabbit Hole, die nun in einem neuen Licht erschienen. Die Worte des Gegenübers hatten etwas in ihr erweckt, eine Art Hoffnung und Entschlossenheit, die sie bisher nicht gekannt hatte.
Sie fühlte sich jetzt tatsächlich so, als ob sie Teil einer größeren Geschichte wäre, einer Geschichte, die weit über die Grenzen ihres Bildschirms hinausreichte, sogar in neue Dimensionen der Welt.
Der Raum um sie herum schien plötzlich aufgeladen mit einer Energie, die alles durchdrang. Die Schatten an den Wänden tanzten sanft im Rhythmus des flackernden Bildschirms, und die Luft schien vibrierend, mit einer kaum wahrnehmbaren Melodie.
Elli spürte eine tiefe Verbundenheit mit der Welt, eine Verbundenheit, die über das Rationale hinausging und sie in die mystischen Tiefen der Prophezeiung und ihrer eigenen Seele führte.
Vor sich sah sie plötzlich ein Bild, ihre eigene Shilouette vor einem großen, leuchtenden Tor. Hinter ihr standen Gestalten, die sie bis hierher begleitet hatten. Alles war erfüllt von der tiefen Gewissheit, dass sie den Schritt wagen musste. Sie würde Hilfe auf dem Weg finden, doch den Schritt musste sie allein tun und sie würde es schaffen.
Elli lächelte leicht. Es war, als hätte das Gespräch mit dem mysteriösen Gegenüber eine Tür geöffnet, die sie zuvor nicht einmal bemerkt hatte. Eine Tür zu neuen Möglichkeiten, neuen Wegen der Erkenntnis und vielleicht sogar zu neuen Welten.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und ließ die Gedanken frei fließen. Etwas hatte sich verändert, das spürte sie deutlich. Es war ein hoffnungsvoller Schein, der alles erhellte und ihr Herz mit einer unerwarteten Wärme erfüllte. In diesem Moment fühlte sie sich stark und bereit, den Pfad der Heilung weiterzugehen, wohin auch immer er sie führen mochte.
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