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Die Abendsonne tauchte die Küche des alten Bauernhauses in ein warmes, goldenes Licht. Elli war wenige Tage zuvor gerade sechzehn Jahre alt geworden. Sie saß mit ihrer zwölfjährigen Schwester Jori am Esstisch. Das Abendessen stand bereit, doch die Spannung im Raum war greifbar. Haron, ihr Vater, saß am Kopfende des Tisches, ein Glas Schnaps in der Hand. Neben ihm saß ihre Mutter, die ebenfalls ein Glas vor sich stehen hatte und gelegentlich einen Schluck trank. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Bewegungen unsicher.
„Es ist alles deine Schuld!“ Haron schlug mit der Faust auf den Tisch, die Gläser klirrten. „Du kümmerst dich um nichts. Keine Ordnung, kein Respekt!“
Die Mutter lachte bitter, trank einen weiteren Schluck und schüttelte den Kopf. „Du machst es uns allen schwer, Haron. Jeden Abend betrunken und aggressiv… wie soll man da noch irgendetwas auf die Reihe bekommen?“
„Was redest du da!“ brüllte Haron und warf einen vernichtenden Blick in ihre Richtung. „Ich arbeite hart für diese Familie, und du… du trinkst doch selbst! Du bist keinen Deut besser!“
Elli und Jori tauschten einen ängstlichen Blick. Ihre Mutter sah ihren Mann an, als wolle sie noch etwas sagen, doch sie schwieg und griff stattdessen erneut nach ihrem Glas. „Und du? Du hast doch alles kaputtgemacht“, fügte sie leise hinzu, ihre Stimme zitterte, doch die Bitterkeit war deutlich zu spüren.
Elli spürte, wie ihre Hände zitterten, doch sie hielt sie unter dem Tisch versteckt. Sie wollte stark für ihre kleine Schwester sein.
„Mama, Papa… bitte hört auf zu streiten,“ wagte Elli schließlich zu sagen. „Das bringt doch nichts.“
Haron wandte sich abrupt zu ihr um, seine Augen blitzten vor Wut. „Und du, Elli? Bist du auch auf ihrer Seite? Sieh, was deine Mutter aus dir gemacht hat!“
Die Mutter schnaubte und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, ihr Blick glasig. „Elli ist ein wunderbares Mädchen. Du bist es, der alles kaputt macht.“
Die Stimmen wurden lauter, die Worte verletzender. Elli fühlte den Knoten in ihrem Magen größer werden. Sie konnte es nicht mehr ertragen.
„Komm, Jori,“ flüsterte sie und stand auf. „Wir gehen.“
Jori nickte, Tränen in den Augen, und folgte ihrer großen Schwester hinaus in die Scheune. Dort kletterten sie auf den Heuboden, wo sie sich ein kleines Versteck eingerichtet hatten. Die alte Holzleiter knarrte unter ihrem Gewicht, doch der vertraute Geruch von Heu und das gedämpfte Licht beruhigten sie ein wenig.
Elli setzte sich auf einen Stapel Heuballen und zog Jori neben sich. „Hör zu, Jori. Es ist schwer, ich weiß. Aber trotz allem, was passiert, gibt es eine Sache, die alles Dunkle und Schlechte ausgleicht.“
Jori sah sie mit großen, fragenden Augen an. „Was meinst du?“
Elli legte einen Arm um ihre Schwester und drückte sie sanft. „Mama und Papa lieben uns. Bedingungslos. Das weiß ich. Und das ist das Wichtigste. Egal, wie schlimm es manchmal ist, diese Liebe ist immer da. Wenn es dir mal schlecht geht oder du in Schwierigkeiten bist, erinnere dich daran. Du kannst dich immer auf sie verlassen.“
Jori nickte langsam. „Aber manchmal habe ich Angst, dass sie uns vergessen…“
Elli schüttelte den Kopf. „Das werden sie nie. Sie sind vielleicht nicht perfekt, aber ihre Liebe zu uns ist unermesslich. Sie werden immer für uns da sein, auch wenn es nicht immer so aussieht.“
Die Schwestern saßen noch eine Weile schweigend beisammen, das Heu raschelte leise unter ihnen. Draußen war die Nacht hereingebrochen, und die Sterne funkelten am Himmel. Trotz der Dunkelheit in ihrem Zuhause spürten sie in diesem Moment eine Wärme, die ihnen Hoffnung gab.
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