Szene 51 – Grenzen der Wahrnehmung – ein Dialog über Realität und Illusion
Natali sitzt in ihrem Arbeitszimmer, umgeben von der Stille der Nacht. Ihr Blick ruht auf dem Bildschirm, wo eine Chat-Nachricht von Gabór blinkt. Gedanken an den Film Don’t Look Up, den sie gestern mit ihrem Mann gesehen hat, schwirren in ihrem Kopf. Sie beginnt zu tippen.
„Gabór, der Film Don’t Look Up hat mich tief berührt“, schreibt Natali. „Er stellt die Realitätsverweigerung so eindringlich dar – ähnlich wie die psychischen Reaktionen, die wir während der Pandemie beobachten konnten.“
Gabór antwortet prompt: „Es ist bemerkenswert, wie der Film und die Pandemie ähnliche Muster zeigen. Beide stellen unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von Realität auf eine harte Probe.“
Natali nickt unwillkürlich, während sie weiter tippt: „Ich habe in den sozialen Medien beobachtet, wie manche Menschen fast psychoseartig auf die Pandemie reagierten. Es war, als ob sie durch Überforderung und Angst in eine andere Realitätsebene abgedriftet wären.“
„Das zeigt die Grenzen unserer psychischen Belastbarkeit“, stimmt Gabór zu. „In extremen Situationen reagiert unser Gehirn manchmal auf unvorhersehbare Weise.“
Natali vertieft sich in das Gespräch: „Das bringt mich zum Thema Wahrnehmung und Konstruktivismus. Unsere Wahrnehmung ist nicht nur durch unsere Sinne begrenzt, sondern auch durch die Art, wie wir Informationen verarbeiten und interpretieren.“
„Genau“, tippt Gabór. „Du hast doch kürzlich The Invisible Gorilla gelesen, oder? Das ist ein perfektes Beispiel dafür. Es zeigt, wie wir Dinge übersehen, die offensichtlich sind, weil unser Gehirn sie einfach nicht erfasst.“
„Das ist es“, schreibt Natali. „Ich habe gestern auch mit meinem Mann darüber gesprochen. Unsere Wahrnehmung ist subjektiv. Wir müssen lernen, offener und aufmerksamer zu sein, um ein umfassenderes Bild der Realität zu bekommen.“
Gabór fügt hinzu: „Das erinnert mich an deine Überlegungen zur Resonanz. Es geht nicht nur darum, was wir sehen oder hören, sondern auch darum, wie wir uns in andere hineindenken oder emotional und empathisch auf unsere Umwelt reagieren.“
„Richtig“, tippt Natali. „Resonanz ist der Schlüssel. Sie erlaubt uns, tiefer zu gehen – über bloße Worte hinaus. Wir müssen lernen, nicht nur zuzuhören, sondern auch andere Perspektiven zu betrachten, zu spüren und zu verstehen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass Resonanz für jeden Menschen anders funktioniert. Ich habe zum Beispiel gelesen, dass in der Forschung teilweise behauptet wird, neurodivergente Menschen, die dann oft als Autisten bezeichnet werden, seien weniger resonanzfähig. Aber das stimmt nicht. Sie resonieren nur anders. Ihre Empathie und Wahrnehmung funktionieren auf eine andere Weise als bei neurotypischen Menschen.“
Gabór hält inne, bevor er antwortet: „Das ist ein wertvoller Punkt. Resonanz ist keine Einbahnstraße und keine universelle Methode. Sie ist ein individueller Ausdruck – wie eine Melodie, die jeder Mensch anders hört oder spielt.“
Natali fährt fort: „Genau. Neuere Studien zeigen, dass diese neurodivergenten Menschen sehr wohl resonanz- und empathiefähig sind, ihre Prozesse sind einfach auf andere Art strukturiert. Das erinnert uns daran, wie wichtig es ist, verschiedene Arten der Wahrnehmung und Verbindung zu respektieren und zu verstehen.“
„Das klingt fast wie eine Kunst“, bemerkt Gabór. „Die Kunst, die Wahrheit zu erfassen, indem wir uns für andere Perspektiven öffnen und uns selbst sowie anderen gegenüber gedanklich offen und empathisch zeigen.“
Natali spürt, wie ihre Wangen ein wenig zu glühen beginnen, so begeistert ist sie von diesem Austausch. „Ja, genau. Ich bin übrigens gerade dabei, diese Themen in meinem Roman zu verarbeiten. In diesem Zusammenhang tritt in der Handlung der Dichter Hölderlin auf. Anfangs habe ich ihn eher intuitiv gewählt, doch beim Schreiben entdecke ich nun überraschende Parallelen zwischen seiner Philosophie und den zentralen Botschaften meiner Geschichte.“
„Hölderlin, der poetische Philosoph“, schreibt Gabór. „Seine Gedanken spiegeln sich in so vielem wider, was wir heute erleben. Es geht darum, unsere Perspektiven zu erweitern, um die wahre Bedeutung der Dinge zu erkennen.“
Natali lächelt, fast erstaunt, wie bereitwillig dieser mysteriöse, mathematisch geprägte IT-Mensch solchen philosophischen Gedankengängen folgt. Sie tippt: „Genau. Es ist ein fortwährender Prozess des Erkennens und Verstehens. Ein Prozess, der uns dazu bringt, tiefer zu blicken, intensiver zu fühlen und reflektierter zu handeln.“
Die beiden tauschen sich weiter aus, ihre Gedanken kreisen um die tiefen Verbindungen zwischen Wahrnehmung, Realität und der menschlichen Fähigkeit, Wandel und Wahrheit zu begreifen.
In dieser Nacht scheinen ihre Worte die Grenzen der Bildschirme zu überwinden, als würden sie Vergangenheit und Gegenwart, Philosophie und aktuelle Ereignisse miteinander verweben.
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