Eine fotorealistische Illustration von Elli und Aura, die Seite an Seite am breiten Sandstrand von Norderney spazieren. Elli läuft vorneweg in einer olivgrünen Jacke, während Aura in einem braunen Mantel folgt. Der Wind weht durch ihre Haare. Vor ihnen läuft ein kleiner, struppiger Hund, vermutlich Luna, durch die Dünenlandschaft. Die Stimmung ist ruhig und harmonisch.

Kapitel 13 – Szene #38

Szene 38. Meeresflüstern und Seelenresonanz bei Aura auf Norderney

Norderney, eine der ostfriesischen Inseln, war stets ein Rückzugsort von besonderer Bedeutung für Elli. Hier, inmitten von Dünen, Wind und Meer, lebte Aura Nakoma, Ellis Brieffreundin aus Kindheitstagen. Trotz der Jahre, die sie oft voneinander trennten, und der Briefe, die immer seltener wurden, war ihre Verbindung unvermindert stark geblieben.

Aura war in jeder Hinsicht einzigartig. Sie stammte aus einem Hause von Reichtum und ungewöhnlichem Erbe, doch es war nicht das Geld oder ihre Herkunft, die sie so bemerkenswert machten. Es war ihre künstlerische Seele, ihre unvergleichliche Fähigkeit, Emotionen in Kunstwerke zu verwandeln, die ihr das Ansehen einer wahren Künstlerin einbrachten. Ihr Heim, ein sorgfältig renoviertes Bauernhaus, stand in der stillen Umarmung der Dünen nahe dem Strand. Das Grundstück beherbergte nicht nur ihr Wohnhaus, sondern auch ein separates Atelier, ein Zeugnis ihrer Leidenschaft für die Kunst. In unmittelbarer Nähe stand zudem ein Pferdestall, der ihrer zweiten großen Leidenschaft, dem Reiten, Tribut zollte.

Wenn Elli und Stig die Insel besuchten, parkten sie ihr Wohnmobil neben Auras Atelier. Von dort aus hatten sie einen atemberaubenden Blick auf das Meer und die Dünenlandschaft. Die Tage, die sie hier verbrachten, waren immer eine Mischung aus Erholung und tiefgreifenden Gesprächen, oft angeregt durch Auras Kunst oder die Natur, die sie umgab.

An diesem speziellen Tag schlenderten Aura und Elli den Strand entlang, während Stig im Wohnmobil blieb, um ein wenig zu arbeiten. Luna lief freudig voraus, hinterließ Pfotenabdrücke im weißen Sand der unendlich weiten Strandlandschaft und jagte den Möwen nach. Es war während dieses Spaziergangs, dass Aura und Elli in ein Gespräch vertieft wurden, das tiefer ging als die meisten anderen.

„Elli, ich habe bei dir das Gefühl, dass du denkst, du müsstest immer kämpfen und mit aller Kraft danach streben, etwas in der Welt zu reparieren oder zu korrigieren. Du suchst ständig nach der Heilung der Welt. Weißt du, ich glaube, manchmal vergisst du dich selbst dabei“, sagte Aura, als sie die Wellen beobachtete, die sich am Ufer brachen.

Elli seufzte und sah nachdenklich aus. „Nach dem, was auf dem Psychiatrie-Kongress passiert ist und nach den Angriffen auf meine Freunde und unsere Bewegung, Aura, habe ich das Gefühl, dass ich etwas tun muss. Es fühlt sich an, als ob ich jetzt gerade mehr nach außen blicken müsste.“

Aura sah Elli nachdenklich an. „Aus meiner Sicht hat unser Weg im Leben damit zu tun, so etwas wie die Mitte zu finden und den Blick nicht nur nach außen, sondern unbedingt auch nach innen zu richten. Ich frage mich manchmal, ob die ganze Mühe, die du nach außen investierst, dazu dienen könnte, dass du den Blick nicht nach innen richten musst.“

„Ich verstehe, was du sagst, Aura“, erwiderte Elli, „aber momentan fühlt sich für mich einfach alles so dringend an. Es gibt so viel, was in der Welt passiert, und ich habe das Gefühl, ich kann nicht einfach nur zusehen.“

„Ja, du hast recht. Es gibt wirklich so viele Wunden hier auf der Erde, so viel, was aus dem Gleichgewicht ist“, stimmte Aura zu. „Die Heilung der Welt können wir einzelnen Menschlein aber sowieso nur in geringem Maß beeinflussen. Wir können zum Beispiel Botschafter der Liebe sein. Das versuche ich in vielen meiner Bilder, auch wenn es ihnen oberflächlich oft nicht anzusehen ist.“

Elli nickte langsam. „Ich bewundere das wirklich an dir, Aura. Aber manchmal fühle ich, dass ich so viel mehr tun muss.“

„Ich denke auch, dass die Welt Heilung braucht, wirklich. Damit meine ich aber nicht das Universum, natürlich, sondern die Menschenwelt. Die Menschheit ist an sich selbst erkrankt, Elli, findest du nicht auch?

Einer der Krankheitskeime für diese Erkrankung ist die Unmenschlichkeit – es gibt in der Menschenwelt zu wenig generelle Mitmenschlichkeit und Resonanz untereinander.“ Aura blickte verträumt auf das Meer hinaus und seufzte. „Und nimm es mir nicht übel, aber ich habe das Gefühl, du bist an der Menschenwelt erkrankt und zusätzlich bist du auch noch an dir selbst erkrankt. Doch du vergisst deine eigenen Wunden und bist immer nur auf der Suche nach der Heilung der Welt.“

„Ich weiß, du sagst das alles nur, weil du dir Sorgen machst, Aura“, antwortete Elli, „aber ich fühle, dass das gerade jetzt meine Mission ist; – Dass ich nach außen blicken und handeln muss. Wir sind jetzt sowieso an einem Punkt, an dem uns der Gegner bereits in eine Ecke gedrängt hat. Ich bin mir sicher, wenn wir jetzt nachgeben, sind wir seiner Willkür komplett ausgeliefert.“

Aura schien Ellis Situation ausnahmsweise nicht nachvollziehen zu können. Sie drängte weiter: „Mir fällt dazu ein alter, weiser Spruch ein: Jeder kleine Schritt zur Heilung der Welt beginnt bei uns selbst. Vielleicht wäre es gut, erst einmal nach Heilung für dich selbst zu suchen und dich dann erst um die Welt zu kümmern, was meinst du? Sei zuerst einmal selbstmenschlich, bevor du deiner Mitmenschlichkeit weiter nachgehst.“

„Ich nehme mir das zu Herzen, Aura. Wirklich!“, erwiderte Elli, doch sie sah ein wenig abwesend dabei aus und konnte Auras abgehobenen Gedanken in diesem Moment ausnahmsweise nicht gut folgen.

„Aber bitte entschuldige,“ fügte sie hinzu, „es ist gerade so viel los in meinem Kopf.“

Aura blickte Elli jetzt sehr nachdenklich an. „Worüber ich hier philosophiere, könnte wirklich ein Thema für dich sein, Elli: Die wahre Kunst des Lebens ist es, zur rechten Zeit die passenden Töne zu treffen – wie eine gemeinsame Melodie vielleicht, um in Resonanz mit der Welt zu treten. So etwas wie eine ausbalancierte Resonanz, meine ich. Das Gleiche probiere ich oft auch mit der Wahl meiner Farbtöne und bei der Komposition meiner Bilder. Es ist wie ein gemeinsamer Gesang oder ein Zwiegespräch.“

Elli lächelte ein wenig. „Das ist eine schöne Vorstellung, Aura.“

Während die beiden Freundinnen weiter den Strand entlanggingen, spürte Elli plötzlich eine sanfte Brise, die nicht vom Meer zu kommen schien. Es war, als ob die Luft selbst mit Energie geladen war, einer Energie aus einer anderen Welt, die sie sanft und wärmend berührte und zugleich durchdrang. Im nächsten Moment war es wieder vorbei, und Elli spürte den kühlen Meereswind auf ihrem Gesicht und in ihrem Haar.

Im nächsten Moment drehte sich Aura, tänzelte leichtfüßig mit ausgebreiteten Armen vor Elli auf dem Strand im Kreis und sagte: „Für mich ist die Resonanz mit der Welt, mit dem Leben, mit den Menschen, mit der Natur wie ein Lebensfunke in meinem Inneren, den ich behüte und aus dem ich Kraft schöpfe.“ Sie wendete sich Elli zu und blickte sie freundlich lächelnd an.

Elli nickte, lächelte zurück und sagte: „Ich kann in etwa verstehen, was du meinst. Ich trage auch so einen Funken in mir, aber ich habe ständig den dringenden Wunsch, ihn mit anderen zu teilen.“

„Das weiß ich, Elli. Du suchst in starker Weise die Verbindung nach außen und du möchtest, dass alles gut wird, wie gesagt. Deshalb bist du auch so unendlich hilfsbereit, lieb und so kämpferisch für die gute Sache. Aber ein Funke kann zum verzehrenden Feuer werden, wenn er nicht richtig behütet wird, Elli – im Inneren und auch außerhalb.“

Elli wurde jetzt sehr ernst und sagte: „Ich habe schon seit der Kindheit eine tiefe innere Unruhe, so als ob ich eine Botschaft hätte, die ich unbedingt weitergeben möchte. Aber es war, als ob ich nicht wüsste, an wen ich mich wenden sollte.“ Sie machte eine kurze Pause und dachte nach. „Oder eher, dass ich wusste, ich würde sowieso nicht gehört werden.

Mir war auch überhaupt nicht klar, was der Inhalt dieser Botschaft sein sollte. Es gab Momente, in denen ich den Eindruck hatte, ich würde die ganze Zeit schon diese geheime Botschaft in ein hoffnungslos tonloses Vakuum schreien. Oft war dieser Zustand Antrieb für das Schreiben meiner ersten Versuche in der Lyrik.“

Aura hörte Elli aufmerksam zu, und als diese verstummte, legte sie tröstend einen Arm um ihre Freundin. „Elli, ich verstehe deine innere Unruhe, wirklich. Jeder hat seinen eigenen Weg, seinen Funken zu schützen und zu teilen. Vielleicht ist das hier deine Methode – durch Worte, Gedichte, Aktionen und den Kampf gegen einen mächtigen Pharmakonzern.“

Sie stellte sich nun vor Elli, blickte ihr in die Augen und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Aber erinnere dich immer daran, dass du nicht allein bist. Ich bin hier, auch wenn unsere Wege und Ansichten manchmal unterschiedlich sind.“

Elli nickte und lächelte dankbar. „Danke, Aura. Es bedeutet mir viel.“

Die beiden Frauen setzten ihren Strandspaziergang fort, ihre Schritte im Einklang mit dem Rhythmus des Meeres. Luna, die vorausgelaufen war, kehrte zu ihnen zurück und bellte fröhlich, als wolle sie die Schwere des Moments vertreiben.

Aura lachte und kniete sich hin, um Luna zu streicheln. „Manchmal wünschte ich, ich könnte die Dinge so einfach sehen wie sie.“ Sie schaute Elli mit funkelnden Augen an. „Manchmal brauchen wir einfach eine kleine Erinnerung daran, im Hier und Jetzt zu leben und den Moment zu genießen.“

Elli schmunzelte. „Ja, du könntest recht haben.“

Sie standen eine Weile da, ließen den Wind durch ihre Haare wehen und hörten den Wellen zu. Dann machten sie sich langsam auf den Rückweg, jede mit ihren eigenen Gedanken, aber verbunden durch die tiefe Freundschaft, die sie seit ihrer Kindheit teilten.

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